Annette Krauß, München
„Malt mir nur ja nicht zu ordentlich!“ Der Maler Ernst Hollenstein hat seine ganz persönliche Auffassung vom Malen, wenn es um Hintergrund-Landschaften von orientalischen Krippen geht. Und schon im nächsten Augenblick steht er neben einer Schülerin und mahnt: „Das hast Du huschi-huschi gemalt. Jeder Stein hat in der Natur einen Abbruch, und du hast hier einen wie den anderen gemalt…“ Hollenstein hat einen Blick für jeden seiner Schüler. Der eine erwartet die Hilfe des Lehrers schon nach den ersten Strichen. Der andere will erst einmal alleine versuchen, die Aufgabe zu lösen. Am ersten Tag soll es schon eine ganze Stadtlandschaft sein, die wir auf die Tafel werfen sollen. Stein für Stein wachsen Mauern, öffnen sich zu Fenstern und Türen, türmen sich Kuppeln übereinander. Am Abend sind die ersten orientalischen Städte fertig. Dabei haben wir heute morgen erst die Pigmente auf die Tabletts verteilt …
Leuchtendes Ultramarin. Ein Gelb, so giftig leuchtend wie Schwefel. Reines Titan-Weiß. Dunkles Rebenschwarz – wir sind an der Mosel, und der Kursbeginn wurde mit einem Schlückchen Riesling gefeiert. Aber dann werden die Tabletts verteilt – nicht für das Mensa-Essen, für das sie einmal hergestellt wurden, sondern für die Farbpigmente. „Paletten brauchen wir nicht. Das ist Unsinn. Wir verteilen die Pigmente in folgender Reihenfolge …“ Die Ansagen des Meisters, der an der Florentiner Akademie studiert hat, sind streng. Aber sie sind sinnvoll, wie sich im Laufe von fünf Arbeitstagen herausstellt.
Knochenleim – „ganz alte Technik“
Bis gestern haben nur die zwei „alten Hasen“ im Malkurs gewusst, was Leim ist. Holzleim? Alleskleber? Weit gefehlt. Schon am Mittag liegt über den großen Maltischen der „Duft“ nach gekochtem Knochenleim, der auf der Heizplatte vor sich hin brodelt. Die Leimprobe muss jeder mit dem Handballen machen, dann kann es endlich losgehen. Die Holzplatten mit Leim einlassen, dann mit einer Kreide-Leim-Mischung grundieren. „Ihr lernt hier eine ganz alte Technik! Darauf könnt ihr stolz sein!“ Ernst Hollenstein erklärt dann auch, warum er Pigmentfarben hinter der Krippe sehen will: „Die glänzen nicht wie Öl und Acryl. Das ist wie eine Malerei auf einer Mauer, wie ein Fresko.“
In dem hellen Raum mit den großen Fenstern sitzen nun alle eifrig über ihre Holztafeln gebeugt. Auf einem Tablett warten die reinen Pigmente auf den Pinsel, der vorsichtig in die Leimlösung und dann in das Pulver getupft wird. Dann wieder Auswaschen des Pinsels im Wasserbecher, der sich zunehmend braun färbt. Zum Umbra natur und zur Terra di Siena noch etwas Manganblau: Das wird ein schöner Schatten. Kaum ist der erste Stadtteil errichtet, schaut der Lehrer herbei. „So, und jetzt alles noch mit einer Lasur zusammenbinden“, sagt er, und ehe man es sich versieht, schreitet er zur Tat, taucht den breitesten Pinsel ins Leimwasser, dann noch eine Spur Signalrot dazu. Der Schülerin stehen die Haare zu Berge, sie sieht ihr ganzes Werk zerstört – aber, oh Wunder: Mit einem Pinselstrich hat der Meister die Steine zusammengebunden, als habe sie ein kundiger Mauerer errichtet und nicht eine stümperhafte Anfängerin in der Malkunst.
Grundlegende Schritte
Motiv für Motiv führt Hollenstein seine Herde nun in die Krippenmalerei ein. Tag für Tag ein neues Thema: Der Brunnen, der Ölbaum, die Palme und der Kaktus scheinen noch bewältigbar, auch die ersten Schafe grasen auf der Weide, aber als es an Esel und Kamele geht, werden die geschnitzten Tiere aus den Vitrinen geholt und müssen den Malkünstlern Modell stehen. Zum Schluss dann noch das, was kaum mehr zu sehen ist: Die weite Ferne, die Hügel in Hellblau und Hellrosa, als hätte Picasso Pate gestanden für ein Bild, das doch hinter einer orientalischen Krippe stehen soll.
Zugegeben: Mit einem fertigen Krippenhintergrund reisen die Wenigsten nach Hause – das ist auch nicht Sinn und Zweck des Kurses. Aber den Weg, wie es weitergehen könnte, den lernen hier alle. Dieser Weg wird erleichtert, wenn die Schüler guten Willens sind und dem Meister das Leimwasser kochen, den Wasserbecher erneuern, den Pinsel nachtragen und brav in die Pause marschieren, wenn ihm der Trubel mal zu viel wird.
Legendäre Gastfreundschaft
Und abends sorgt sowieso die legendäre Gastfreundschaft an der Mosel dafür, dass keiner an sich selbst verzweifelt. Ein Besuch beim Krippenschnitzer Klaus Porten, eine Wanderung durch die Weinberge, das Bestaunen des im Aufbau begriffenen Krippenmuseums oder eine Planwagenfahrt mit Blick über die Hänge und das grüne Band des Flusses bei Abendlicht sind unvergesslich. „Schau dir diese Wolken an, das Violett und Rosa“, ruft dann eine Malschülerin zur anderen, und beide sehen die Welt mit ganz anderen Augen an. „Vergesst nicht die Details!“ mahnt Lehrer Hollenstein dann, bevor wieder einmal das Glas gehoben wird mit köstlichem Moselwein der „Klüsserather Bruderschaft“.
Wer wiederkommen will, meldet sich gleich am letzten Tag fürs nächste Jahr an. Denn die Krippenbauschule Klüsserath ist ein aktiver, lebendig-junger Verein in der Krippenlandschaft. Noch ist ein Kurs hier fast ein Geheimtipp – und inklusive Vollpension und Unterbringung in freundlichen Privatquartieren auch bezahlbar. Aber schon reisen die Schüler nicht mehr nur aus dem Moseltal und der Eifel, sondern auch aus dem Ruhrgebiet, der Oberpfalz und aus Oberbayern an. Und meistens ist einer dabei, der dolmetschen kann, wenn das Moselplatt der Einheimischen zu schnell am Ohr vorbei rauscht.